"Sie haben was Tolles auf die Beine gestellt"

Beim Bewährten bleiben, Anpassungsfähigkeit stärken und Wachstum vorantreiben: diese drei Stoßrichtungen für die künftige Entwicklung formulierte Prof. Dr. Theresia Theurl (oben, Foto: Frank Schroth) bei ihrem Vortrag auf der Konferenz „Zusammen wachsen“, die zum 25-jährigen Jubiläum der wagnis eG in der vergangenen Woche im Lihotzky stattfand. Ihr großes Kompliment an die wagnis: „Sie haben was Tolles auf die Beine gestellt, das sollten Sie weiter tun.“

„Die wagnis ist erwachsen geworden“, sagte Vorständin Rut Gollan in ihrer Begrüßung. Den Mut und die Innovationskraft aus den vergangenen Jahren wolle man auch in die Zukunft mitnehmen.

Rund 1800 Wohnungsgenossenschaften in Deutschland

Mit großer Leidenschaft beschäftigt sich Theresia Theurl mit der genossenschaftlichen Idee. Sie leitete bis zum Frühjahr das Institut für Genossenschaftswesen an der Universität Münster und beleuchtete als gelernte Volkswirtin in ihrem Vortrag die Entwicklungsperspektiven von Genossenschaften aus ökonomischer Sicht. „Sie sind eine interessante und bemerkenswerte Genossenschaft“, bescheinigte sie der wagnis eG. Unter den rund 1800 Wohnungsgenossenschaften gehöre die wagnis noch zu den jungen Organisationen: „Und zwar nicht nur nach der Zahl 25, sondern auch nach dem, wie Sie es machen.“

Theurl attestierte Genossenschaften, Möglichmacher, Sinngeber und Mutmacher zu sein und eine gesellschaftlich wertvolle Rolle zu spielen. Sie seien ein stimmiges Gesamtkunstwerk, bestehend aus drei sich ergänzenden Elementen, nämlich Geschäftsmodell, Strategie und Wertegerüst. Durch das Geschäftsmodell, bei dem der einzelne die Gemeinschaft stärkt, aber auch umgekehrt die Gemeinschaft im Rücken hat, könne man großen Unternehmen Paroli bieten. „Zusammenarbeit bedeutet auch Vielfalt“, betonte Theurl, dadurch entstünden Innovationen.

Nachhaltige MemberValue-Strategie für die Mitglieder

Die Strategie des MemberValue schaffe Wert für die Mitglieder. Die Genossenschaft müsse so wirtschaften, dass sie sich weiterentwickeln könne. Was gemeinsam erwirtschaftet werde, bleibe in der Genossenschaft und komme den Mitgliedern zugute. Diese nachhaltige Strategie steht in krassem Gegensatz zur kurzfristigen ShareholderValue-Orientierung, bei dem Unternehmen mit den Mietern nur den Wert maximieren wollen, der wiederum den Investoren zugutekommt. Das genossenschaftliche Wertegerüst mit den großen Säulen Solidarität und Nachhaltigkeit bilde einen großartigen Vertrauensanker, sagte die Referentin: „Das ist die wichtigste Basis, Vertrauen haben zu können. Man weiß, dass man nicht über den Tisch gezogen wird.“

Wie kann nun die Zukunft aussehen? Als Ökonomin sei es interessant, sich erfolgreiche Unternehmen anzuschauen, so Theurl. Sie zitierte zwei Forschungsergebnisse dazu: wenn ein Unternehmen ein bestimmtes Alter erreicht habe, zum Beispiel 25 Jahre, könne es davon ausgehen, dass es auch 50 oder 100 Jahre alt werde. Viele erreichen dieses Ziel nicht, denn laut Theurl überstehen weniger als 10 Prozent aller neugegründeten Unternehmen das zweite Jahr. Erfolgreiche Unternehmen würden ihr Alleinstellungsmerkmal kennen, neue Entwicklungen früh erkennen und sich anpassen, ihre ökonomischen Grundlagen sichern und mit Risiken verantwortungsvoll umgehen, zählte Theurl als wichtige Faktoren auf. Um eine Entwicklung erfolgreich gestalten zu können, müssten sowohl Flexibilität als auch Stabilität gut zusammenwirken.

Bezogen auf den Leitspruch der wagnis „Weiter Neues wagen“ führte Theurl drei Stoßrichtungen auf: beim Bewährten bleiben, Anpassungsfähigkeit stärken und Wachstum vorantreiben. Zum Ende formulierte sie einen umfangreichen Fragenkatalog, über den man sich für die weitere Entwicklung Gedanken machen solle.

Jetzt ist ein gutes Zeitfenster für Genossenschaften

Ihre Ausführungen fanden bei den rund 50 Teilnehmer*innen großen Anklang, sie nutzten die Möglichkeit, im Anschluss noch vertiefende Fragen zu stellen. In ihren Antworten bezeichnete sich Theurl als großen Fan von Genossenschaften, „ich möchte, dass noch mehr gegründet werden“. Sie ermunterte zu einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit, um noch mehr Wissen nach außen zu tragen. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Zeiten sei jetzt ein gutes Zeitfenster für Genossenschaften: gerade junge Menschen fühlten sich abgestoßen vom ShareholderValue-orientierten Wirtschaften und wüssten Organisationen mit Sinn zu schätzen.

Nach dem Vortrag am Vormittag fanden nachmittags zwei Gesprächsrunden mit externen Gästen im Lihotzky statt. Wie wird die wagnis von außen gesehen? Die verschiedenen Wahrnehmungen wurden in der Runde mit Tanja Thalmeier, Vorständin der BSG-Allgäu, Thomas Schimmel, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft München-West (WGMW), Sacha Rudolf, Projektleiter der IBA’27, und Julius Klaffke von bogevischs buero deutlich.

wagnis als "alte" und junge Genossenschaft

Klaffke ist Vorstand einer Genossenschaft, die 2018 gegründet wurde. Das Architekturbüro bogevischs buero war verantwortlich für die Planung von wagnisART, „das war für uns ein besonderes Projekt“, so Klaffke. „Der Einfluss hat uns dazu gebracht, selbst eine Genossenschaft zu gründen.“  Im Kreativquartier baut die junge Genossenschaft ihr erstes Projekt. Aus Klaffkes Sicht hat sich die wagnis seit dem Bau von wagnisART ein Stück weiterentwickelt und weitere Schritte in Richtung Professionalisierung gemacht. Er hob hervor, dass es gerade für die jungen Genossenschaften große Unterstützung in der Münchner Genossenschaftslandschaft gebe, dabei gelte die wagnis als etablierte und „alte“ Genossenschaft.

Die München-West und wagnis haben sich beim Projekt wagnisWEST zusammengefunden, das von den beiden Genossenschaften konsortial errichtet wurde. Die 114 Jahre alte WGMW ist die größte Wohnungsgenossenschaft in München mit über 3600 Wohnungen im Bestand. Vor 15 Jahren habe man die Idee gehabt, sich anzugucken, was junge Genossenschaften besser machen würden, erzählte Thomas Schimmel.  Das mündete schließlich im gemeinsamen Projekt in Freiham.

Auch die BSG-Allgäu kann auf eine 119-jährige Geschichte zurückblicken, 7700 Wohneinheiten, darunter 2200 eigene Wohnungen, gehören zu ihrem Bestand. Die Besonderheit: sie baut und verkauft auch Reihenhäuser und Eigentumswohnungen. „Uns geht es darum, Erlöse zu erwirtschaften, die dann in den eigenen Bestand investiert werden“, sagte Vorständin Tanja Thalmeier. Aber auch Quartiere zu prägen ist ein wichtiges Ziel. Eine eigene kleine Erfolgsgeschichte ist der Miniladen, den die BSG-Allgäu im Viertel betreibt. Eine leerstehende Ladenfläche hat sich zu einem Ort der Begegnung und Anziehungspunkt fürs Viertel entwickelt.

Mit Fragen der Stadtentwicklung setzt sich Sacha Rudolf als Projektleiter der internationalen Bauausstellung Stuttgart, die 2027 stattfindet, auseinander. 200 Projekte sollen im Jahr 2027 zeigen, wie man in Zukunft wohnt und arbeitet. Aspekte der Partizipation spielen auch hier eine wichtige Rolle.

"Bleibt bei dem, was ihr tut"

Auch wenn die Blickwinkel sehr verschieden sind, so waren sich die Teilnehmer*innen in der Haltung einig, dass die wagnis ihren bisherigen Weg weiterverfolgen soll. „Bleibt bei dem, was ihr tut, bleibt nicht stehen, das ist nicht das Genossenschaftsprinzip“, so Thomas Schimmel. Auch Tanja Thalmeier riet davon ab, sich nach dem Prinzip eines „closed shop“ nach außen abzuriegeln. „Ich erlebe die wagnis als offen, wir können gegenseitig voneinander lernen, ihr seid ein großes Vorbild für uns.“

In der letzten Gesprächsrunde kamen noch Dr. Susanne Koch vom VdW Bayern, Prof. Florian Otto vom Landschaftsarchitekturbüro bauchplan und Andreas Hofer, Intendant der IBA 27, zu Wort. In den vergangenen 15 Jahren seien in Bayern 47 Genossenschaften gegründet worden, davon seien noch 30 aktiv, sagte Dr. Susanne Koch. Sie sei froh, dass sich neue Genossenschaften in den Verband einbringen würden. „Das große soziale Miteinander und die tollen Wohnkonzepte, das sind Ihre Pfunde, machen Sie weiter“, sagte sie an die Adresse der wagnis gerichtet.

Florian Otto schlug vor, zum ShareholderValue und MemberValue noch einen additional value einzuführen, nämlich den Wert für die Stadtgesellschaft. „Man muss miteinberechnen, welchen Wert das Engagement für den Stadtteil generiert.“ Dabei sei Diversität der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit.

Ordentlich Stoff zum Nachdenken lieferte Andreas Hofer zum Schluss. Angesichts der Krise in der Wohnungswirtschaft, ablesbar unter anderem an der Zahl der fertiggestellten Wohnungen, die sich halbiert habe, konstatierte er, dass das bisherige Fördersystem nicht mehr funktioniere. Deshalb riet er zu einer größeren Unabhängigkeit von staatlichen Fördermitteln. Dazu gehöre auch, die Mieten zu erhöhen. Als Vorbild nannte er die Schweiz, die radikal solidarische Modelle entwickelt habe.

Rut Gollan bedankte sich bei den Teilnehmer*innen für die engagierten Beiträge und Diskussionen. „Wir haben viele Aufgaben und Ideen mitgenommen“, war ihr Fazit am Ende der Veranstaltung. Bevor es wieder an die Arbeit ging, wurde aber abends erst einmal kräftig gefeiert. Einen wunderbaren Rahmen boten dafür die Brücken von wagnisART mit allem, was dazu gehört: sommerliche Temperaturen, üppiges Buffet, Musik von „Gretes Töchtern“ und „CelloNation“ und guten Gesprächen.

Fotos unten (Bilder: Frank Schroth):

Am Nachmittag fanden Diskussionsrunden statt, auf dem Podium saßen neben Rut Gollan Sacha Rudolf, Thomas Schimmel, Tanja Thalmeier und Julius Klaffke (Bild links, von links). An der zweiten Runde nahmen Florian Otto, Rut Gollan, Susanne Koch und Andreas Hofer teil (2. Bild von links, von links). Der Abend klang mit einem Dinner auf dem Brücken von wagnisART aus (Bild rechts).

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