Verlässlichkeit und Mut gefragt

Was muss der Städtebau leisten, damit Stadt in einem Entwicklungsgebiet entsteht und funktioniert? Diese Frage erörterten die Teilnehmer*innen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Städtebauen – vom Haus zum Stadtquartier“ Ende Februar in der Veranstaltungsreihe „München hat Plan“, die die Jahresausstellung des Referats für Stadtplanung und Bauordnung über den neuen Stadtentwicklungsplan begleitet. Stadtbaurätin Elisabeth Merk hieß dazu die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Andrea Gebhard, den Leiter der Stadtplanung, Michael Bacherl, den Architekten Prof. Dr. Rudolf Hierl, die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, Laura Weißmüller, und wagnis-Vorständin Rut Gollan in der Rathausgalerie willkommen (Foto oben: Moderatorin Ina Laux im Gespräch mit Rut Gollan, daneben Rudolf Hierl, Laura Weißmüller, Michael Bacherl und Andrea Gebhard, v.r.).
Mit Fragen von Ordnung und Gestalt setzte sich Elisabeth Merk in ihren Einführungsworten auseinander. Wie viel muss definiert werden, wie viel kann in der Entwicklung einer Stadt frei und offen gelassen werden? Andrea Gebhard skizzierte die geplante Entwicklung, die die Residenzstadt München im Rahmen der Stadterweiterung Anfang des 19. Jahrhunderts genommen hat. Für München habe sich das als Glücksgriff erwiesen. Zentrum eines neuen Stadtteils war jeweils ein kultureller Nucleus wie die Pinakothek, die Universität oder das Prinzregententheater, um den sich das neue Viertel entwickelte. Unterschiedliche Stadtbaustrukturen geben der Stadt ein vielfältiges abwechslungsreiches Gesicht: „Einförmigkeit ist das Schlimmste“, meinte Gebhard.
Welche Quartiere sind gut gelungen, befragte Moderatorin Ina Laux den Leiter der Stadtplanung, Michael Bacherl. Als positives Beispiel nannte Bacherl das Werksviertel, hier würden die Proportionen passen und die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Städte seien nie fertig, sondern würden sich wie ein Organismus laufend ändern. Zentrale Aufgabe der Stadtplanung sei, das Wachstum zu steuern, damit der Organismus im Gleichgewicht bleibt.
Für SZ-Redakteurin Laura Weißmüller ist das Sonnwendviertel in Wien ein gelungenes Beispiel für ein neues Stadtquartier. Vor allem die belebten Erdgeschosszonen hob sie hervor. Als verpasste Chance bezeichnete sie dagegen den Arnulfpark in München, auch in anderen Städten seien neue Viertel, die aus der Umnutzung der Bahnareale hervorgingen, wenig geglückt.
Die andere Herangehensweise einer Genossenschaft im Vergleich zu privaten Investoren beschrieb Rut Gollan in ihrem Statement. Dazu zählt ein anderer Umgang mit öffentlichen und halböffentlichen Räumen. Hier kann eine Genossenschaft Übergänge anbieten und Eingangszonen weiter ins Viertel verschieben. Zu den Angeboten fürs Quartier kommt eine Bewohnerschaft, die sich durch hohe Identifikation und Engagement für den Stadtteil auszeichnet. Als nicht renditeorientiertes Unternehmen kann eine Genossenschaft hier mehr für die Stadtgesellschaft leisten, während private Investoren den Profit in den Vordergrund stellen. In diesem Zusammenhang appellierte Rut Gollan an die Politik, für stabile und verlässliche Förderbedingungen zu sorgen. Aktuell würden über Nacht komplette Finanzierungsgrundlagen wegbrechen würden, weil Fördermittel nicht mehr zur Verfügung stehen. „Bauen dauert lang und kostet viel Geld; da ist Verlässlichkeit ein unfassbar hohes Gut“, betonte Gollan.
Darüber hinaus wünschte sich die wagnis-Vorständin mehr Mut in der Stadtplanung. „Wo gibt es wieder ein weißes Baufeld, bei dem wir miteinander in eine Entwicklung gehen können?“, fragte sie. Die Bebauungspläne seien oft eng gefasst, allein in Freiham habe wagnis eine sechsstellige Summe investieren müssen, um über Befreiungen und Abweichungen mehr Gestaltungsspielraum zu bekommen. „Ich wünsche mir mehr Mut“, sagte Gollan. Die Stadt solle bewusst Grundstücke suchen und dafür Akteure zulassen, die verantwortungsvoll damit umgehen. Michael Bacherl gestand ein, dass die Genossenschaften einen anderen Anspruch hätten im Gegensatz zu privaten Bauherren, die das Maximale aus einem Grundstück herausholen wollen. „Bei denen müssen wir das Schlimmste verhindern.“
Rudolf Hierl sprach sich dafür aus, bauliche Standards zu reduzieren. Damit stieß er bei Andrea Gebhard auf offene Ohren, sie bezeichnete sich als Verfechterin des Gebäudetyps E, einem Modell für einfaches Bauen. In der lebhaften Diskussion mit unterschiedlichen Blickwinkeln, an der sich auch das Publikum beteiligte, zeichnete sich doch Übereinstimmung in mehreren Punkten ab:
- Städtebau ist immer Koproduktion: viele Akteure müssen zusammenspielen und in einen Dialog gehen, um gemeinsam Lösungen zu finden
- Es braucht Mut für neue Lösungen und dazu müssen mehr Freiheiten in den Bebauungsplänen eingeräumt werden.
- Ein großes Thema für die Zukunft ist der Umgang mit dem Bestand. Umnutzungen, Aufstockungen, Weiter- und Umbauen von bestehenden Gebäuden werden immer wichtiger.
- Bauen muss wieder einfacher werden (Gebäudetyp E).
- Bei den Fördermitteln ist Verlässlichkeit gefragt.
Sie nehme jetzt mehrere Aufträge mit, merkte Stadtbaurätin Elisabeth Merk zum Schluss an. Ein Vorhaben kündigte sie bereits an: Künftig soll es eine Art einfachen Bebauungsplan mit wenig Vorgaben geben, den sogenannten E-Plan, „in dem fast nix drinsteht“.

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