Neidischer Blick nach München

Kein Zugang zum Grundstücksmarkt und damit kaum Chancen, ein neues Projekt zu realisieren: die derzeitigen Perspektiven der Berliner Wohnbaugenossenschaften sehen nicht rosig aus. Deshalb schauen sie mit einigem Neid nach München, wo die Stadt Baufelder im Konzeptvergabeverfahren für Genossenschaften ausschreibt. Bei der diesjährigen Exkursion von wagnis-Mitgliedern Mitte Oktober war Berlin das Ziel. Viele Informationen, Gespräche und Austausch ergaben ein spannendes Bild, und die Gäste aus München waren überrascht, mit welchen Problemen die Berliner Genossenschaften zu kämpfen haben.

Förderung des Genossenschaftsgedankens

Frauke Rothschuh vom Neubauteam hatte für die rund 20 Teilnehmer*innen ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Den Auftakt bildete am Freitagnachmittag der Besuch des Genossenschaftsforums im Süden Berlins. Der Verein wurde vor über 30 Jahren gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, den Genossenschaftsgedanken zu fördern und zu verbreiten. Mittlerweile gehören ihm 52 Berliner und Potsdamer Wohnungsgenossenschaften an, so dass er eine wichtige Plattform zum Austausch und zur Vernetzung untereinander geworden ist. In den Räumen der Geschäftsstelle ist eine Ausstellung über die Entwicklung der Genossenschaften in Berlin zu besichtigen.

Vorständin Barbara König gab einen Einblick in die Arbeit des Vereins, der sich auch als Bildungseinrichtung versteht und vor allem junge Menschen über die Genossenschaftsidee informieren will. Mit einigen Zahlen umriss sie die Bedeutung der Wohnungsgenossenschaften in Berlin. Es gibt rund 100 Genossenschaften, jede zehnte. Wohnung gehört einer Genossenschaft (in München beläuft sich der Anteil auf ca. fünf Prozent). Mit neuen Genossenschaftsprojekten sieht es schlecht aus. Barbara König: „Es gibt keinen nennenswerten Neubau. Alte Genossenschaften beschäftigen sich mit Nachverdichtung und Aufstockung, aber die Genossenschaften kommen in Berlin kaum an Grundstücke. Auf dem freien Markt können sie nicht mitbieten.“ Das Münchner Erfolgsmodell, nämlich Grundstücke nicht an den höchstbietenden Investor, sondern an den/die Bauherr*in mit dem besten Konzept zu vergeben, funktioniert in Berlin nicht. „Das Land tut sich sehr schwer damit, die Auflagen sind zu hoch“, so schilderte Barbara König die aktuelle Situation. Ein anderes Modell klappt jedoch nicht nur in München, sondern auch in Berlin: Vor einigen Jahren waren Berliner Genossenschaften zu Besuch in München und haben sich auch über das Thema Energiegenossenschaft informiert. Nach dem Vorbild der Isarwatt gibt es nun die Berliner StadtWatt eG, der mittlerweile 23 Berliner Genossenschaften angehören.

Bremer Höhe eG: Weiterentwicklung zur Dachgenossenschaft

Am Samstagvormittag stand der Besuch der Bremer Höhe eG am Prenzlauer Berg auf dem Programm. Sie wurde im gleichen Jahr wie wagnis gegründet, nämlich 2000. Allerdings entstand sie aus einer Mieterinitiative, die den Verkauf ihrer Häuser an einen privaten Investor verhindern wollte. Vorstand Ulf Heitmann konnte einen wahren Krimi davon erzählen, wie es der neugegründeten Wohnbaugenossenschaft im April 2000 gelang, innerhalb von wenigen Tagen 27 Millionen Mark für den Kauf und 50 Millionen Mark für die Sanierung der 521 Wohnungen aufzutreiben.  Die viergeschossigen Häuser an der Schönhauser Allee wurden ab 1870 gebaut. Bei der Sanierung von 2001 bis 2003 wurden viele kleine Wohnungen zusammengelegt, so dass familiengerechte Wohneinheiten entstanden. Dazu kommen Gewerbeeinheiten und Gemeinschaftsräume.

In den folgenden Jahren hat sich die Bremer Höhe zu einer Dachgenossenschaft entwickelt: weitere Häuser in anderen Stadtvierteln, eine Wohnanlage, eine Wagenburg und ein Dorf mit 25 Häusern in Brandenburg sind dazugekommen, so dass die Bremer Höhe eG jetzt 850 Wohnungen und Gewerbeeinheiten zu ihrem Bestand zählt. „Die Leute kennen uns und sprechen uns an, 200 Anfragen kamen in den letzten fünf Jahren“, berichtete Ulf Heitmann.  Viele Geschichten hatte er noch in petto über den Kampf mit den behäbigen Strukturen des Apparats und die mangelnde Unterstützung durch Politik und Verwaltung. Auch er kritisiert, dass die Berliner Genossenschaften keine Chance haben, neue Projekte umzusetzen. „Wir gucken neidisch nach Wien, München, Tübingen oder Hamburg.“

Frizz23: Partizipation funktioniert auch mit gewerblichen Nutzer*innen

Einen anderen Blick auf Partizipation lernten die Münchner Besucher*innen beim Projekt Frizz23 kennen. Bei den Erläuterungen von Architekt Matthew Griffin wurde deutlich, dass der partizipative Prozess sowohl bei der Wohnbebauung funktioniert als auch im Gewerbebereich angewendet werden kann. Dafür brauchte Griffin vom Architekturbüro Deadline allerdings einen langen Atem. Das Grundstück an der Friedrichstraße gleich neben dem taz-Gebäude beherbergte jahrzehntelang den Blumengroßmarkt. Der Auszug des Großmarkts 2008 war der Auftakt für ein langes Verfahren, in dem es zunächst darum ging, das Grundstück nicht zum Höchstpreis zu verscherbeln, sondern die lokalen Akteur*innen vor Ort in den Prozess der Stadtentwicklung miteinzubeziehen. 2014 wurden schließlich drei Grundstücke an drei Bewerber*innen vergeben.

Das Architekturbüro Deadline entwickelte einen Baukörper, der aus drei Teilen besteht. Das Haus direkt neben der taz gehört dem gemeinnützigen Verein Forum Berufsbildung. Für den mittleren Teil haben sich Akteur*innen aus der Kreativwirtschaft zur Frizz Zwanzig GbR zusammengeschlossen. Der dritte Bau ist ein Apartmenthotel, das die Architekten als zweites Standbein betreiben. Zusammengehalten wird das Ganze von Bändern aus verkohltem Lärchenholz, die je nach Licht in unterschiedlichen Farben erscheinen. Die Planung stand dabei unter dem Motto „Zuerst der Dialog, dann das Design“ und die Baugruppe, bestehend aus den künftigen gewerblichen Nutzer*innen, konnte bei vielen Aspekten mitentscheiden.

Refugio: Hilfe aus der Gemeinschaft

Gemeinsam Leben, Arbeiten und Teilen: dieses Prinzip funktioniert in wagnis-Projekten, und auch Refugio in Neukölln hat seit 2015 gute Erfahrungen damit gemacht. Das Projekt wird von der evangelischen Stadtmission Berlin betrieben, ursprünglich hatten die Gründer Sven Lager und Elke Naters das Prinzip des Sharehauses aus Südafrika mitgebracht. Während das Erdgeschoss des Hauses an der Lenaustraße mit Café und Veranstaltungssaal als Begegnungsstätte und Kommunikationsplattform dient, sind im zweiten Stock Ateliers untergebracht. In den oberen drei Geschossen gibt es 40 kleine Wohnungen mit eigenem Bad, pro Stockwerk steht eine Küche zur Verfügung. 40 Menschen aus 11 Nationen leben hier zusammen.

Gedacht seien die Wohnungen für Menschen in Ausbildung, die für einen begrenzten Zeitraum einen Platz brauchen, erklärte Einrichtungsleiterin Anna Pass den Besucher*innen. In der Regel soll die Wohndauer drei Jahre nicht überschreiten. Jede*r Bewohner*in verpflichtet sich, vier Stunden in der Woche ehrenamtlich zu arbeiten. Insgesamt verfügt Refugio über ein großes Netz an Engagierten, die sich zum Beispiel dienstags im Willkommenscafé mit Beratung oder mittwochs im Sprachcafé einbringen. „Wir beschäftigen bewusst keine Sozialarbeiter*innen, sondern die Hilfe kommt aus der Gemeinschaft“, erläuterte Anna Pass. Das Haus erhält übrigens keine öffentliche Förderung, sondern finanziert sich zu einem guten Teil über die Vermietung des großen Veranstaltungssaals im Erdgeschoss. Dazu kommen weitere Einnahmen durch die Vermietung der Ateliers und Wohnungen, auch der Träger, die Berliner Stadtmission, schießt Mittel zu.

Möckernkiez eG: Eigenmittel für den Grundstückskauf

Zum Abschluss der Exkursion am Sonntag war noch einmal die Besichtigung einer Genossenschaft an der Reihe. Vorstand Ansgar Dietrich berichtete von schweren Zeiten, die die Möckernkiez eG durchgemacht hat. Aus einer Initiative von Bürger*innen war 2009 die „Möckernkiez Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen eG“ entstanden. Im Jahr darauf kaufte sie das Grundstück am Gleisdreieck-Park für acht Millionen Euro, das Geld hatten die Mitglieder als Eigenmittel selbst gestemmt. Nach dem Baustart stellte sich heraus, dass die Finanzierung auf wackligen Beinen stand. Ein Baustopp war die Folge, das ganze Projekt stand auf der Kippe. Erst ein Jahr später gelang die Rettung, 2016 konnte weitergebaut werden. Die 14 Häuser mit 471 Wohnungen und 22 Gewerbeeinheiten konnten schließlich 2018 bezogen werden.  Trotz dieses schwierigen Starts würde auch die Möckernkiez eG gern weiterbauen. „Wir sind auf der Suche nach einem Grundstück“, sagte Ansgar Dietrich. „Es gibt viele Möglichkeiten, ob am Flughafen Tegel, in Tempelhof oder Pankow, aber die Projekte gehen insgesamt nicht richtig vorwärts, und die Genossenschaften werden nicht beteiligt“, beschrieb er die Situation.  

Cluster-WG als Gegenentwurf zum Altersheim

Ein Blick in die Clusterwohnung der WG „Lebendig altern“ rundete das umfangreiche Wochenend-Programm ab. Das Ehepaar Harald Kamps und Ulrike Arnold hatte den Anstoß für die Gründung der WG gegeben, ihr Ziel ist, bis zum Lebensende füreinander da zu sein, quasi ein Gegenentwurf zum Altersheim. Dafür wurde eine GbR gegründet, die von der Möckernkiez eG zwei Clusterwohnungen auf zwei Ebenen gemietet hat. Hier sind sieben Haushalte eingezogen, die Bewohner*innen sind zwischen 60 und 75 Jahre alt. Auch wenn viele von der Idee begeistert sind, so gestaltete sich die Suche nach Mitbewohner*innen doch langwieriger als erwartet, berichteten Harald Kamps und Ulrike Arnold. Die Vorstellung, seine großzügige Altbauwohnung mit Flügel und Tausenden von Büchern aufgeben zu müssen, lässt viele zurückschrecken. Ulrike Arnold findet es schade, dass ihr Konzept so oft mit Reduktion und Verzicht in Verbindung gebracht wird. „Dabei habe ich doch ganz viel Zugewinn“, ist ihre Erfahrung: eine barrierefreie Umgebung, viele soziale Kontakte, gegenseitige Unterstützung, die täglichen gemeinsamen Abendessen, viele Unternehmungen, ein generationenumgreifendes Umfeld und vieles mehr. Eine Erfahrung, die sie mit vielen wohnenden wagnis-Mitgliedern teilt.

Fotos:

von links: "Wer kriegt das Haus?" heißt das Spiel über einen Kampf mit einem Investor, das Barbara König vom Genossenschaftsforum den Besucher*innen aus München zeigte.

Vorstand Ulf Heitmann (l.) führte die wagnis-Mitglieder durch die Häuser der Bremer Höhe eG.

Architekt Matthew Griffin erläuterte den partizipativen Prozess beim Projekt Frizz23.

Im Refugio-Café begrüßte Einrichtungsleiterin Anna Pass die Gäste aus München.

unten links: Harald Kamps und Ulrike Arnold stellten die WG "Lebendig altern" im Möckernkiez vor.

oben rechts: Möca nennt sich der Cafétreff im Möckernkeiz, wo die wagnis-Gruppe am Sonntag willkommen geheißen wurde.

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